Exposé
Karikatur und Stigma: Sprachkorruption zwischen 1925 und 2025
Die erste Republik hat bewiesen, dass die demokratischen Institutionen auslassen, wenn sie mit anti-demokratischen Kräften durchsetzt werden. 1925, im Jahr indem Adolf Hitler „Mein Kampf“ publizieren kann und rund eine Dekade vor der Installierung des Austrofaschistischen Regimes, zeigte das Ignaz Seipel, seines Zeichens Bundeskanzler und einer der zentralen Christlich-sozialen Politiker der Ersten Republik, mit folgendem autoritären Anspruch auf: “Die Menschheit wird immer Führer brauchen: Keine Schar, keine Masse kann auf die Dauer den Weg finden ohne Führer.”
Topoi
Die qualitative Diskursanalyse mit dem Arbeitstitel „Karikatur und Stigma: Sprachkorruption zwischen 1925 und 2025“ bezieht sich auf Sprechakte im aufkommenden Nationalsozialismus in Österreich und wird mit einem Zeitfenster von zwanzig Jahren in einen Gegenwartsbezug gesetzt. Voraussetzung ist, die Unterschiede und Verbindungslinien der intertextuellen Begriffsgeschichte zwischen Faschismus und Autoritarismus herauszuarbeiten, wie die, von traditionellen Verbänden und modernen Netzwerken, und jene, zwischen historischen Stigmata und zeitgenössischen Feindbildern. Der analytische Korpus bezieht sich auf Aussagen in der Politik und in politischen Diskursen. Die Recherche bezieht sich trotz oder wegen der Umbrüche am Medienmarkt in erster Linie auf das Medium Tageszeitung, da dieses seit Jahren auch die im Internet kursierenden Diskurse aufgreift und in Artikeln lanciert und bespricht. Hinzugezogen werden außerdem archivierte Hörfunk-Beiträge aus mittlerweile hundert Jahren Radio-Geschichte; als Sekundärdatenanalyse hinzugezogen werden lexikalische Literaturen, wie beispielsweise „Art, Auslese, Ausmerze…Wörterbücher im 3. Reich“, Herausgegeben von der Gesellschaft für interdisziplinäre Forschung Tübingen, oder Berichte und Studien, wie der von dem DÖW publizierte Bericht „Rechtsextremismus in Österreich 2023. Unter Berücksichtigung der Jahre 2020 bis 2022“. Außerdem beinhaltet das Projekt eine Vertiefung in das Problem der Sprachkorruption im World Wide Web und in den sozialen Medien, wo Desinformation, Hass und Spaltung durch Anwendungen von KI (künstlicher Intelligenz) verschärft werden.
Diskursanalyse: Sprachkorruption
Als Zeit der lügenhaften Lippenbekenntnisse, Diffamierungen, Sinnverdrehungen, Wahrheitsverdunklungen, Faktenkopfstände und Wahrheitsverachtung als Rache für vermeintliche Demütigungen hat Bruno Frank im Exil die Streitschrift “Lüge als Staatsprinzip” (1939) das Zersetzen des gesellschaftlichen Gemeinschaftssinns und des politischen Raums beschrieben, das sich auch heute wieder durchsetzt.
Für die Diskursanalyse werden in erster Linie in Zeitungen abgedruckte und im Radio gesendete Philippiken nach relativer Häufigkeit und Popularität auf Stereotype, Redensarten, Metaphern und Neologismen einer Analyse unterzogen, um ihre Bedeutung und Auswirkung in der Gesellschaft zu erhellen.
Im Zentrum steht dabei anti-demokratische Sprache, die mit Feindbildern arbeitet und Stigmata abbildet, und die, wenn sie Proponent:innen findet, den Zusammenhalt erodieren lässt. Eine zentrale Fragestellung ist, welche Begriffe und Wortkonnotationen, die Zeit warum überdauert haben und wie es zu bewerten ist, dass das „System“ oder der „Volkskanzler“ (Unwort des Jahres 2024)1 wieder im Diskurs erscheint und im Wahlkampf Bedeutung einnehmen hat können. Die Umdeutungen, die zur Sprachkorruption führen, sollen in Essays analysiert und mit Beispielen aus der Literatur illustriert werden, um die Muster offenzulegen. Mit historischen Beispielen und Analogien wird zugleich ein Einstieg in die zeitgenössische Thematik gesetzt. Diese vergleichende Analyse von zwei Zeitfenstern soll in Beiträgen im Tonarchiv hörbar gemacht werden.
„Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler“ – Ingeborg Bachmann
Um das Muster und das Funktionieren des Phänomens der Sprachkorruption offenzulegen, können drei Hauptwerke zu Theorien über Herrschaft, – ein Begriff als allgemeinster Nenner und als Schnittmenge entsprechender Ideologien –, den analytischen Hintergrund aufbereiten. Der theoretische Korpus entsteht dabei durch das Verhältnis unterschiedlicher Ebenen und Aspekte: einerseits, die alphabetische Liste über die Sprachkorruption mit Worten, Redewendungen und Metaphern in LTI – Notizbuch eines Philologen (1947) von Victor Klemperer und andererseits, die soziologischen Kategorien und Cluster der sozialwissenschaftlichen Erhebung aus Der autoritäre Charakter von Theodor Wiesengrund Adorno (1950) ergeben eine logisch-semantische Grundstruktur, die mit den Definitionen und Thesen im Standardwerk von Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1955) verdichtet wird.
Mit diesem analytischen Grundgerüst, weiteren Fachliteraturen und vertiefenden Interviews werden die Jahre 1925 bis Kriegsende 1945 auf ihre Sprache in Politik und politischen Diskursen in Österreich untersucht und in einen Gegenwartsbezug gesetzt: dabei stehen die Jahre 2005 bis 2025 im Fokus. Die beiden Zeitfenster von jeweils rund 20 Jahren sind notwendig, da es sich um Entwicklungslinien handelt. Damals wie heute zeichnen sich deutliche Hinweise auf Faschismus beziehungsweise die Tendenzen zum Autoritarismus ab. Die Sprache bringt es an den Tag.
Besprochen werden Worte, Begriffe, Redewendungen, Metaphern, Karikaturen und Neologismen wie „Gesundheitsapartheid“ aus Zeitungen und Rundfunkbeiträgen. Original-Tondokumente, wie auch neugestaltete und moderierte Beiträge werden nach der RNA-Systematik (Ressourcenerschließung nach Normdaten in Archiven: Suchbegriffskatalog) klassifiziert, das auf der Homepage eine strukturierte Navigation durch die Themenfelder ermöglicht. Analog zum Ton-Archiv soll eine Publikation entstehen, in der die Diskursanalyse in Essays verschriftlicht sind. Da es sich um ein künstlerisch-wissenschaftliches Projekt handelt, werden die Einstiege in die jeweilige Thematik szenisch inszeniert, nicht um die politischen Dimensionen zu dramatisieren, sondern um die Bedeutung und Tragweite der Informationen durch unterschiedliche ästhetische Formen (Bilder, Zeichnungen, Sprechakte, Dokumente in Archive) zu vermitteln und dafür zu sensibilisieren.
In Österreich gibt es bisher – anders als in Deutschland – keine Langzeitstudie, die rechtsextreme Einstellungen über mehrere Jahre hinweg untersucht, um entsprechende Trends feststellen zu können.2 Das Projekt Karikatur und Stigma: Sprachkorruption zwischen 1925 und 2025 ist keine Langzeitstudie, aber versteht sich als Baustein in der Historie und als Beitrag mit Gegenwartsbezug zu der Frage in diesem Spektrum.
„Karikatur und Stigma: Sprachkorruption zwischen 1925 und 2025“ ist ein Rechercheprojekt, das der Öffentlichkeit ein transparentes, Online frei zugängliches Tonarchiv mit akustischen Hörproben und Textanalysen bereitstellt. Der Open Access ist zentral. Analog zum Tonarchiv entsteht zum Projektende 2026 eine 5-teilige Radioreihe im Freien Rundfunk.
Das Resultat des Recherche-Projekts ist eine Essaysammlung aus insgesamt neun Essays (Publikation). Essay E8 In stereo, στερεός stereos, deutsch ‚hart, starr‘ und Essay E9 Orwell’s Blumen behandeln explizit die aktuellen Auswirkungen der Sprachkorruption im World Wide Web und in den sozialen Medien, die durch die Anwendungen von KI (künstlicher Intelligenz) verschärft werden.
Projektzeitraum: Februar 2025 – Dezember 2026.
Recherche: Archive, sowie Interviews mit Wissenschaftler:innen über Diskursanalyse (Prof.Dr. Wodak), strukturelle Gewalt (Prof.Dr. Harrasser) und über Kunstwerke mit den Kunsthistorikerinnen Dr. Nowak-Thaller und Dr. Reutner-Doneus.
Medium: Archivierte Zeitungen ab 1925 + Netzrecherchen (sozial Media, KI-Anwendungen).
Rundfunkbeiträge aus 100 Jahren Radiogeschichte.
1 Vgl. Oewort. Eine Aktivität des Forschungszentrums Österreichisches Deutsch. Online: https://oewort.at/
2 Vgl. Online: https://www.doew.at/cms/download/c1g6t/DOEW_rex-barometer-2024.pdf Seite 5